Denise Fischer packt in ihrem Lebensmittel-Laden „Freivon“ selbst mit an, aber nicht ein.
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MUT
Anpacken
Wirtschaftlicher Erfolg durch Verzicht: Die Gründer von Unverpacktläden können sich auf die Sparkasse Nürnberg verlassen.
Ein bisschen ist
Einst lebte ein indischer König, der einen neuen Zeitvertreib gefunden hatte: das Schachspiel. Er hatte so viel Freude daran, dass er den Erfinder des Brettspiels belohnen wollte. Dieser äußerte einen bescheidenen Wunsch: Auf das erste
Feld des Spielbretts sollte der König ein Reiskorn legen und auf jedes weitere Feld doppelt so viele Körner wie auf das Vorhergehende platzieren. Was klein anfing, entwickelte sich am Ende zu einem Gewicht von mehreren hundert Milliarden Tonnen Reis. Ein echtes Schwergewicht, dieses Reiskorn.
unendlich viel
6,2 Kilogramm Reis wird pro Kopf allein in Deutschland jährlich konsumiert. Abgepackt à 250 Gramm macht das über 2,3 Millionen Tüten, die achtlos nach Gebrauch weggeworfen werden.
In manchen Kulturen zelebriert, nimmt das Reiskorn in Deutschland oftmals eher die Nebenrolle ein. Die Beilage zum Hauptgericht. Recht anonym in Plastik verpackt, reiht sich Packung neben Packung. Dabei hat es eine ganz spezifische Oberfläche, einen ganz besonderen Geruch und macht Geräusche, wenn viele von ihm von der Kelle in einen Beutel rauschen. „Ein Erlebnis für alle Sinne“, sagt Tobias Kleinöder, der in der Mitte seines Ladens steht, die Hände vor der Brust verschränkt, ein fröhliches Gesicht unter einem schwarzen Vollbart.
„Freivon“ haben er, seine Frau Denise Fischer und Mitgründer Klaus Bönisch ihren Unverpackt-Laden getauft. Frei von Plastik, frei von Zusatzstoffen, frei von anonym. Denn hier, umgeben von Gläsern, Behältern und Zapfhähnen, kann man sehen, was man kauft und was man schlussendlich auch isst. Hülsenfrüchte, Nudeln, Tee, Pasten, Seifen und Öle nehmen nur einen kleinen Teil des Bestands ein. Jedes Nahrungsmittel und jedes Kosmetikprodukt steht den Kunden in einem großen Behälter zum Abfüllen zur Verfügung. Man muss einfach nur die Kelle nutzen oder den Zapfhahn betätigen und das Produkt in Bioqualität in eines der mitgebrachten oder von Freivon zur Verfügung gestellten Gläser und Flaschen füllen. „Dadurch geht man viel bewusster einkaufen“, ergänzt Denise. „Man setzt sich aktiv mit den Produkten auseinander: Wie sehen sie aus, wo kommen sie her, wer produziert sie und was ist drin?“
Endlich „Freivon“: Denise Fischer (l.), Tobias Kleinöder (r.) und Mitgründer
Klaus Bönisch starten mit der Eröffnung des eigenen Unverpacktladens in eine verpackungsfreie Zukunft.
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Fragen, die sich Denise bereits vor einigen Jahren stellt, noch lange vor der Gründung. Sie legt in ihrem Alltag großen Wert darauf, „Zero Waste“ zu leben. Also ein Leben ohne Müll. „Das geht nicht immer“, schränkt die 26-Jährige ein. „Aber für mich ist Plastik ein Luxusgut. Also etwas, was nur ganz selten in meinem Leben auftauchen sollte.“ Plastik als Luxus. Aus unternehmerischer Sicht sicherlich ein Paradoxon, kosten Verpackungen aus herkömmlichem Kunststoff derzeit doch einen Bruchteil von vergleichbaren umweltfreundlicheren Bio-Plastik-Alternativen.
VON DER IDEE ZUM EIGENEN LADEN
Als Denise, Tobias und Klaus beschließen, einen Unverpacktladen zu gründen, sind Denise und Tobias noch in festen Angestelltenverhältnissen. Niemand von ihnen hat Erfahrung darin, selbstständig zu sein. Doch die Vision, die sie haben, ist stärker als die nagenden Zweifel. Sie arbeiten viel und hart. Zwei Schritte voran, einen zurück, hinfallen, aufstehen, weitermachen. Vom eigenen Wissen profitieren und Expertise einholen, wo es nötig ist. Anpacken statt einpacken. Es ist das Jahr 2019, als sich ihre Idee mehr und mehr konkretisiert. Sie wissen, was sie wollen und wohin die Reise gehen soll. „Irgendwann kommt der Moment, an dem du eine Zahl dran machen musst“, sagt Denise. „An all deine Vorstellungen und Wünsche.“ Also bemühen sich die Gründenden um einen Start-up-Kredit. „Zwei Tage hat es nur gedauert, dann hat sich die Sparkasse Nürn-berg bei uns gemeldet“, erinnert sich Denise. „Wir haben mit Anton Kasak einen Berater an unsere Seite bekommen, der uns alle Fragen beantworten konnte, der uns – bis heute – Tipps in puncto Un-ternehmensform und Finanzplanung gibt und uns den Kredit ermöglichte, den wir brauchten. Und ab da konnten wir endlich loslegen.“
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EINE HANDVOLL MUTIGE
Businessplan, Beratung, Kredit und Immobilien- suche, um nur ein paar Dinge zu nennen, die bei einer Unternehmensgründung eine Rolle spielen. All das beflügelt oder trübt das Start-up-Herz. Es macht aus Visionen Realität. Aus dem Reiskorn der Idee des Einzelnen einen bis oben hin gefüllten Sack. Ähnlich dem, den Thomas Linhardt in seinem ZeroHero- Laden im Nürnberger Stadtteil Gostenhof auf einen abgebeizten Stuhl stellt. Er und sein Geschäftspartner Arthur Koenig bringen die Unverpacktidee mit der Eröffnung ihres eigenen Ladens im Jahr 2017 nach Nürnberg. „Irgendjemand muss eben damit anfangen“, sagt der 42-Jährige überzeugt und schiebt die Kelle in den braunen Papiersack. „Und mit jedem Kunden, der in einen unserer Läden kommt, können wir mehr auf unserem Weg zu einer verpackungsfreien Welt erreichen.“ Korn um Korn rieselt in das durchsichtige Behältnis, während er fortfährt: „Uns ist es wichtig, nicht nur regional etwas nachhaltig zu verändern, sondern deutschlandweit, wenn nicht sogar europaweit das Bewusstsein zu schaffen, dass ein verpackungsfreies Leben nicht nur erstrebenswert, sondern möglich ist.“
ZeroHero: Was mit einer Idee anfing, ist heute ein erfolg-reiches Unternehmen. Mit zwei Standorten in Nürnberg und Erlangen sowie in Hausen mit dem ZeroHero-Team Traudl.
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AUS EINS MACH DREI
Deshalb ist für ihn und Arthur von Anfang an klar, dass es nicht nur bei einem Unverpacktladen bleiben wird. „Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, ganz einfach ein Teil unserer Idee zu werden“, sagt Arthur, der in einem schwarzen ZeroHero-Hoodie vor der Wand mit den zahlreichen Behältern steht und die Kellen verteilt. „Und das schafft man durch Nähe zum Verbraucher. Deshalb haben wir inzwischen zwei Läden: in Nürnberg und in Erlangen. In Hausen haben wir dem ZeroHero-Team Traudl mit unserem Know-how geholfen, einen weiteren Laden aufzubauen.“ Nicht zuletzt ist die Wahl der Sparkasse als Partner eine strategische Entscheidung. „Wir brauchten ein Netzwerk. Und die Sparkasse hat eins.“ Um auch anderen Gründer*innen den Einstieg zu erleichtern, stellen die beiden Macher von ZeroHero ihre Expertise und Erfahrungen in Vorträgen vor und bieten direkt ihre Hilfe an.
Doch das reicht ihnen noch nicht. Sie wollen ein Schwergewicht in der Handelslandschaft werden. Deshalb ist Thomas seit über zwei Jahren ehrenamtlich im Vorstand des Unverpackt-Verbandes tätig. Die Zahl der Mitglieder*innen ist von 22 Gründenden mittlerweile auf über 600 angestiegen. „Wir sind Teil von etwas Großem“, ist Thomas überzeugt. „Und so wie viele große Bewegungen hat auch unsere klein angefangen. Mit einer Handvoll Mutigen und mit Partnern, auf die sie sich verlassen können.“ Er sieht auf seine Kelle hinab, auf der sich Bio-Haferflocken türmen. Nun, am Ende halten Haferflocken als Analogie ebenso gut her wie das Reiskorn auf dem Schachbrett.
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