Urban [He]Arts

Bunt, beherzt, kontrovers und bewegend. Ob Graffitischriftzug oder gesellschaftskritisches Banksy-Gemälde: Street-Art erobert in den letzten Jahren die Straßen unserer Welt. Was lange ein Nischendasein pflegte, ist heute eine anerkannte Kunstform, die internationale Künstler*innen in die Städte bringen. Und nun ist auch Nürnberg an der Reihe.

Text Mona Baloglu

Ein überdimensionales Mural (aka Wandgemälde) wird bald die Außenfassade der Geschäftsstelle der Sparkasse Nürnberg am Nordostbahnhof zur Leinwand machen. Geschaffen mit nicht mehr als ein paar Pinseln, Spraydosen und Farbrollern. Mit einer Botschaft, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Auch nicht auf den zweiten. Und das ist so gewollt. Denn das außergewöhnliche Bild des niederländischen Künstler-duos TelmoMiel fordert die Betrachter*innen bewusst heraus. Fragt sie, was ihnen wichtig ist, was sie bewegt. Als Individuum, als Gesellschaft. Zeigt ihnen, wie Generationen und Kulturen zusammenhalten und den Blick nach vorne richten. In eine friedliche, gemeinsame Zukunft.

Ausdrucksstark und international: Das Mural des niederländischen Künstlerduos TelmoMiel wird bald die Außenfassade der Sparkassen- Geschäftsstelle am Nordostbahnhof zieren.

Motiv: ©TelmoMiel

INTEGRATION UND TEILHABE

Das ist es, was Street-Art oder Urban Art im Kern ausmacht. Die besondere (An-)Sprache, die Indivi-dualität und Identität des Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft. Urbane Kunst ist niederschwellig, ausdrucksstark und manchmal bewusst provokant. Vor allem aber integrativ. Sie lädt ein zur Teilhabe und zur Mitgestaltung. Macht aus Einzelnen eine Stadtgemeinschaft. „Genau deshalb liegt uns die Förderung von Urban-Art-Projekten am Herzen. Wir möchten in unserer Region nicht nur graue Fassaden bunter machen, sondern auch Menschen und Generationen miteinander verbinden“, erklärt Dr. Michael Kläver, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Sparkasse Nürnberg, das Engagement für diese besondere Kunstform.

Wir sind eins. Ob alt oder jung, Träumer oder Denker. In dem Workshop im Haus der Kinder am Hasenbuck bekam jede*r eine Stimme. 

Foto: ©Fabian Birke

Mit diesem Gespür für das immense Potenzial urbaner Kunst fanden die Sparkasse Nürnberg und der Street-Art-Künstler Carlos Lorente vor einigen Jahren zusammen. Der 42-Jährige ist Profi in der Graffiti-Kunst. Seit 25 Jahren schon sprüht er deutschlandweit seine Gemälde auf verschiedenste Untergründe und gibt mit Deutschlands erster Graffiti-Akademie „Style Scouts“ in seinem Atelier im „Z-Bau“ Workshops, gestaltet und verbindet, was zusammengehört. Sowohl künstlerisch als auch menschlich. Bei Projekten mit Jugendlichen wie auf dem Skatepark in Hersbruck nimmt er die Gelegenheit wahr, mehr über die jungen Generationen zu lernen. Die Werke der Jugendlichen bieten ihm und allen Betrachter*innen Schlaglichter einer Gedankenwelt und einer Subkultur, die durch Workshops wie diese ein Ventil finden. So füllen sich Half- und Quarterpipes des Skateparks mit Farben, Mustern und Geschichten, Statements zu Black lives matter und Homosexualität.

Carlos Lorente begleitet als Kurator die Entstehung des Murals an der Sparkassen- Geschäftsstelle am Nordostbahnhof. 

Foto: ©Fabian Birke

Carlos Lorente ist es auch, der das Mural der Sparkasse Nürnberg als Kurator von Beginn an begleitet hat. Und das Künstlerduo aus Rotterdam mitauswählte. Warum es TelmoMiel wurde? „Weil sie bereits überall auf der Welt Häuserfassaden mit ihren surrealen und bewegenden Malereien geschmückt haben“, erklärt er. „Und weil es ihnen gelingt, mit ihren Kunstwerken unsere Gesellschaft widerzuspiegeln.“

GENERATIONSÜBERGREIFENDE KREATIVITÄT

GENERATIONS-ÜBERGREIFENDE KREATIVITÄT

Was aber ist mit den jüngsten Stadtbewohner* innen? Auch sie lieben es, ihre Gedanken, Wünsche und Träume künstlerisch auszudrücken. Doch manchmal fehlt es schlicht an einer Übersetzung für die „Großen“. Auch dafür ist Urban Art da. So fand beispielsweise eine dieser „Übersetzungsleistungen“ im Haus der Kinder am Hasenbuck statt. Ein Projekt der Rummelsberger Diakonie, das mithilfe des „Urban Arts Fonds“ der Sparkasse Nürnberg von Carlos Lorente realisiert werden konnte. Der Fonds unterstützt seit 2018 Street-Art-Projekte von gemeinnützigen Institutionen, Schulen oder Kitas. Und wird auch in Zukunft noch viele umsetzen. „Das Besondere an dem Projekt mit dem Kinderhaus war, dass die Kitakinder noch zu klein waren, um selbst ein Graffiti zu malen“, erinnert sich Carlos Lorente. „Deshalb musste es uns gelingen, ihre Ideen und Wünsche für uns sichtbar zu

machen.“ Zusammen mit den Kindern und ihren Eltern erarbeitete er deshalb die Motive des Graffitis, das nun die Mauer des Gartens ziert und widerspiegelt, was auch die Jüngsten bewegt.
Das ist das Geheimnis der Urbanen Kunst. Durch ihre Farbenfreudigkeit, ihre Vielseitigkeit und ihre Botschaften wertet sie nicht nur das Stadtbild auf, sondern ist gleichzeitig ein Abbild dessen, was die Stadtgemeinschaft bewegt, was sie ausmacht und was ihr wertvoll ist. Bringt Internationalität nach Nürnberg, fördert den Austausch und das gegenseitige Verständnis der Kulturen. Workshops, aber auch stadtteilübergreifende Street-Art-Projekte wie beispielsweise das Festival „Betonliebe“ machen Urban Art erlebbar, integrativ und unmittelbar.
Ein individuelles und überdauerndes Kulturgut der Stadt und ihrer Bewohner*innen.

Regenbögen, Black lives matter und Puzzles: Der Skate-park in Hersbruck visualisiert, was Jugendliche abseits des Skatens bewegt. 

Foto: ©Fabian Birke